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Rat will Sprung aus bisherigem Denken wagen
 
SPD, CDU und Freie Wähler wahren die Option eines Altstadttunnels - Wirksamer Lärmschutz muss aber schon jetzt kommen
 
Leonberg. Die Stadt wahrt sich die Option auf einen Altstadttunnel. Das hat der Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossen. Vor allem sollen aber in kurzer Zeit die Lärm- und Abgasbelastungen im Zentrum wirksam reduziert werden.

Von Thomas K. Slotwinski

Am Tag danach war der Oberbürgermeister sehr zufrieden: "Der Gemeinderat hat Zivilcourage und Mut zur Entscheidung bewiesen", lobte Bernhard Schuler gestern den Beschluss, dass sich die Stadt die Möglichkeit eines Tunnels mit Ausgang an der westlichen Altstadt offen hält (unser Zeitungsbericht von gestern). Dagegen hatten verschiedene Bürgervereine massiv opponiert und die Fraktionen teilweise unter Druck gesetzt.

Dabei sind die Politiker durch die Bank weg keine überzeugten Tunnelfreunde. Doch der Wille überwiegt, eine schnelle Entlastung für die Anwohner der Feuerbacher Straße und der Grabenstraße zu ermöglichen. Dass ein Tunnel diesem Ziel dienen wird, gilt als unstrittig.

In der letzten Ratssitzung vor den Ferien machte der von der Stadt beauftragte Planer Gunter Kölz abermals deutlich, dass eine großflächige Tangente keine Alternative zum Tunnel sein könne, würde die doch tatsächlich auswärtigen Verkehr anziehen. Alles so lassen, wie es ist, sei auch keine Lösung. Dann würden sich die Blechlawinen auch künftig durch die Grabenstraße wälzen.

Alwin Grupp nannte einen anderen Grund, warum er einen Tunnel nicht ausschließen will: "Wir brauchen klare verkehrspolitische Vorgaben, sonst wird sich kein Investor für den Stadtumbau finden lassen", mahnte der Chef der CDU-Fraktion. "Wir brauchen keine Umgehungsstraße, sondern wir brauchen eine Verbindung, die die Menschen in die Stadt bringt: zu ihren Arbeitsplätzen, zu den Einkaufszentren." Grupp sprach freilich nur für einen Teil seiner Fraktion. CDU-Stadtrat Heinz Blume ("Tunnelvisionen können wir nicht mehr hören, ich bin ein Mann der Realität") präferiert eine Art Umgehungsstraße, die er seinen Kollegen als Modellskizze vorstellte.

"Wie will denn damit der Herr Blume die Autos in die Stadt bringen?", konterte Erwin Widmaier. Eine Tunneloption sei "unbedingt notwendig", um die Altstadt wirksam zu entlasten. "Zunächst einmal müssen wir aber kurzfristige Lösungen für die Feuerbacher- und die Grabenstraße realisieren", verlangte der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler. "Danach müssen wir die Frage, ob wir den Tunnel wirklich brauchen, neu bewerten."

Eine ähnliche Stoßrichtung hat ein Antrag der SPD, den Jürgen Stolle begründete. Richtig sei, dass es für die Stadtentwicklung einen Rahmenplan geben müsse. "Auch brauchen wir eine Lösung für den Binnenverkehr", erklärte der Fraktionschef. Eine schnelle Lösung sei ein Tunnel aber keinesfalls. "Ich glaube nicht, dass er im Jahr 2021 schon da ist. Aber wir haben jetzt ein Problem in der Stadt." Stolle forderte deshalb, "einen nennenswerten Betrag im Haushalt 2008 vorzusehen", um völlig neue Lösungsansätze zu bekommen. Beispielhaft nannte der Sozialdemokrat Durchfahrverbote für bestimmte Fahrzeugtypen, einen "neuen Ansatz beim Nahverkehr" oder auch eine City-Maut. Nur wenn "ein Sprung aus unserem bisherigen Denken" gelänge, sei die SPD bereit, die westliche Tunnelvariante mitzutragen.

Die wesentlichen Ziele der SPD stießen bei der Grün-Alternativen-Bürgerliste auf offene Ohren. Einen Tunnel aber als Möglichkeit weiterhin vorzusehen, wurde abgelehnt. Gudrun Sach wollte zwar eine Entlastung der Grabenstraße nicht verhehlen, aber: "Jede neue Straße zieht Verkehr an." Die Stadträtin befürchtet bei allen Tunnelvarianten eine Belastung des Glemstales und sieht die Gefahr einer Teilumgehung nach Ditzingen.

Ähnlich schätzte es Frank Dahl von der Ratsgruppe "Salz" ein. "Der Tunnel hat den gleichen Effekt wie eine Tangente. Auch sah er keinen Entscheidungsbedarf: "Die Verwaltung baut einen künstlichen Zeitdruck auf."

Letzteren sieht Dieter Maurmaier durchaus gegeben: "Es geht ja nicht nur um Verkehrspolitik", sagte der Freidemokrat. "Wir treffen hier ein Votum für die Stadtentwicklung." Die Altstadt müsse dringend aus der "bedrängten Randlage" heraus. "Das geht nur mit einem Tunnel." Siehe Kommentar

 

Verkehrsdebatte der anderen Art
 
Von Thomas K. Slotwinski

Eine große Mehrheit des Gemeinderates hat kurz vor Ferienbeginn verantwortungsbewusst und mit Rückgrat gehandelt. Die Stadträte haben sich nicht von Emotionen lenken lassen, sondern wohlüberlegt in die nahe und in die ferne Zukunft geblickt: In der nahen Zukunft muss die nicht mehr erträgliche Situation in der Feuerbacher Straße, in der Grabenstraße, aber auch am Neuköllner Platz verbessert werden. In der fernen Zukunft muss ein Gesamtkonzept für die ganze Kernstadt greifen. Das kann einen Altstadttunnel beinhalten oder eben nicht. Aber es wäre fatal gewesen, hätte sich der Gemeinderat selbst dieser Möglichkeit beraubt. Denn erst wenn die neue Stadtgestaltung Formen annimmt, ist absehbar, wie die Verkehrsströme fließen werden. Das wird noch Jahre dauern.

Im Moment viel wesentlicher als die Tunnelfrage ist der eigentliche Kern des Beschlusses, den die Mehrheit der Mitglieder von SPD, CDU, Freien Wählern und FDP getroffen haben. Besagt er doch nichts anderes als den Beginn einer völlig neuen Verkehrsdebatte. Und zwar keiner, in der es um den Verlauf von Straßen geht. Nein. Themen sind Nahverkehrsverbesserungen, Parkgebühren, City-Maut oder Durchfahrtssperren. Der Aufschrei angesichts solcher Reizwörter ist jetzt schon zu hören. Umso mehr verdient der Beschluss, sich auf diese schwierige und unbequeme Diskussion einzulassen, Respekt und Anerkennung. Wünschen wir den Stadträten, dass sie die Stärke haben, diese Debatte durchzustehen. Sie haben es in der Hand, markante Zeichen zu setzen. Siehe auch "Rat will Sprung wagen"
 

 

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